Der Lombard-Effekt
Unter Stressbedingungen verändert sich die Sprache und es kommt zu Aussprachevariationen. Es ändern sich Wortdauer, Aussprachfrequenz und zahlreiche weitere Parameter. Auch in Notfallsituationen, somit ebenfalls unter Stress, tendiert man instinktiv zu lauterem Sprechen um gehört zu werden. Stress entsteht aber bereits durch ein hohes Umgebungsgeräusch oder Lärm. Aber auch bei einer zusätzlichen Tätigkeit, sogar wenn sie nur einen kleinen oder aber einen grossen Teil der Konzentration beansprucht. Obschon das Gehirn die Wahrnehmung der eigenen Sprache durch Sinneshemmung ausblendet, besteht bei der so genannten „audiophonatorischen Rückkoppelung“ ein unbewusster Regelkreis. Der nach Etienne Lombard benannte Effekt hat ebenso zur Folge, dass bei einer Zunahme des Störgeräuschpegels um 1 dB, der Sprechpegel jeweils um 0.5 dB ansteigt.
Bei einem Gespräch passen sich die Kommunikationspartner bei verschiedenen Umweltsimulationen entsprechend den Umgebungsbedingungen an. Bei einem Telefongespräch wundern sich alle im Raum Anwesenden, dass eine Person plötzlich viel lauter und deutlicher redet als es zum Gespräch im Raum selbst eigentlich erforderlich wäre. Diese Erscheinung ist die amüsante Seite des Lombard-Effekts. In Grossraumbüros, heute meist kommunikationsintensiv genutzt, führt das zu unerwünschten Nebeneffekten. Das Arbeiten in einem Call-Center mit lärmbelasteter Umgebung erfordert angestrengtes, lautes Sprechen. Diese zusätzliche Belastung, hat raschere Ermüdung zur Folge und führt in der lärmigen Umgebung zu Verständnisfehlern. Zeitaufwand und Belastung steigen dadurch weiter an. Aber eine laute, erhobene Stimme wirkt weniger sympathisch, sondern eher gestresst. Sie ist weniger differenziert und die Erfolgschancen für einen positiven Gesprächsverlauf sinken. Es benötigt also noch mehr Zeit und weitere Anstrengung um überzeugend zu wirken. Man fühlt sich zunehmend gestresst und dadurch sinkt die Motivation. Unnötige Erschöpfung und gesunkene Motivation vermindern abermals den Arbeitseinsatz, wodurch die Fehlerrate weiter steigt. Durch Stress auch körperlich geschwächt, steigt ausserdem das Erkrankungsrisiko. Durch krankheitsbedingte Ausfälle kommt es zu Rentabilitätseinbussen und diese haben Entlassungen zur Folge. Dieser Teufelskreis lässt sich in beliebigen Varianten immer weiterführen und die Folgen werden immer fataler. In der neuen Norm SIA 181:2020 – Schallschutz im Hochbau, unter Punkt 2.3 Lärmempfindlichkeit, Tabelle 1, ist die Nutzungsempfindlichkeit von Büroräumen inzwischen auf „mittel“ heraufgestuft worden.
Noch verhängnisvoller wirkt sich der Lombard-Effekt in Schulzimmern mit schlechter Akustik aus. Kinder sind die Schwächsten, sie sind wehrlos und werden viel stärker in Mitleidenschaft gezogen als Erwachsene. Bei Untersuchungen in Deutschland, wurden in Klassenräumen, Pegel ab 50 dB(A) aufwärts, bis sogar zu 85 dB(A), gemessen. Maximal 45 dB(A) dürften es eigentlich sein. Durch diesen Lärm werden Lehr- und Lernresultate negativ beeinflusst. Es kommt dadurch zu schweren kognitiven Störungen. Das Sozialverhalten wird teils irreparabel besschädigt. Zwischen 5% bis 15% der Kinder mit normaler Intelligenz haben inzwischen Schwierigkeiten beim Erlernen von Lesen und Schreiben. Man spricht von der Lese-Rechtschreibstörung (LRS). LRS betrifft nicht nur die Fähigkeit neue Wörter zu lesen, zu erkennen und so zu erlernen, sondern auch die Fähigkeit den Sinn bereits erlernter Wörter zu verstehen und den Zusammenhang im Kontext zu begreifen. LRS kann zum totalen schulischen Versagen führen. Im schlimmsten Fall hat das den kompletten Verlust der Ausbildungs- und Berufschancen zur Folge. Die WHO klassifiziert LRS unter ICD-10, „psychische Störungen“. Seit Jahren werden intensive Studien zum Zusammenhang zwischen Schulraumakustik und den Resultaten der PISA-Studie durchgeführt. Der Zusammenhang wurde zweifelsfrei bewiesen. Gute Schulraumakustik ist so zum wichtigen Kriterium geworden.